Ein paar Anmerkungen zur Recherche in Büchern




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Ein paar Anmerkungen zur Recherche in Büchern

Beitragvon Moulin » Di 27. Apr 2010, 22:00

Aus aktuellem Anlaß schreibe ich hier einmal ein paar Zeilen zu dem, was wir alle laufend tun: nämlich Bücher lesen zwecks Wissenserweiterung.
Mir fiel ein Buch in die Hände, das die erste Expedition von Sir John Franklin in den hohen Norden Kanadas in den Jahren 1819 bis 1822 schildert: Ins arktische Amerika. Erdmann Verlag 2003 ISBN 3-522-60047-9.

Schnell kam ich auf die Idee, die Reise über Google Earth zu verfolgen, da im Buch häufig die Koordinaten von Orten genannt werden. Doch welche Überraschung: gleich am Anfang landete ich irgendwo mitten im Ozean, statt am Ort eines Handelspostens in Kanada.
Nun suchte ich im Internet nach einer englischen Originalausgabe und fand als pdf-Datei „Narrative of a Journey to the Shores of the Polar Sea, in the Years 1819-20-21-22“, zweite Ausgabe, erschienen in London, herausgegeben von John Murray im Jahre 1824.
Nun konnte ich vergleichen und es stellte sich bei oben genannten Koordinaten ein Zahlendreher heraus.

Interessant war z.B. auch die Erwähnung, sie hätten zwei Tonnen Mehl mit sich geführt. Etwas schwer. Oder Tonnen als Behältnis? Was muß man sich darunter vorstellen? Im englischen Text stand nun: „...barrel flour“. Also Fässer. Wobei die Größe weiterhin ungesichert bleibt.

Ein anderes Beispiel für Ungenauigkeit war „Wir segelten in den See…“. Im Englischen stand „...we entered...“. Also sehr allgemein gehalten. Wer sich hier auf die deutsche Fassung stützt und sie als Beweis für ein Segelboot angibt, der begeht damit einen Fehler.

Und noch ein Beispiel: Die Expedition startete am 9.September. Es waren bereits ein paar Tage vergangen, da tauchte der 10. September auf. Ich verglich mit dem pdf-Dokument und dort war es der 19. Aber auch dies konnte nicht stimmen, da wenige Tage später wiederum der 19. September auftauchte. Ich vermute nun den 15. September, da die 5 leicht für eine 9 gehalten werden kann: und zwar von einer OCR-Software (Optical Character Recognition).

Man könnte meinen, daß der Abstand zur nativen Quelle in so einem Buch recht klein ist. Das ist offensichtlich ein Irrtum.
Denn: Ursprüngliche Quelle ist die handschriftliche Notiz des Herrn Franklin. Aus diesen Aufzeichnungen entsteht kurze Zeit später ein Buch mit den ersten Abweichungen. Dieses Buch wird wiederum zeitnah ins Deutsche übersetzt mit neuen, möglicherweise erheblichen Ungenauigkeiten und in einem anderen (geringeren) Umfang. Dieses deutsche Buch wird Jahre später maschinell eingescannt, die Abbildungen per Software in Text umgewandelt. Und erst jetzt wird das vorliegende Exemplar erschaffen.

Was bleibt ist die Erkenntnis, sich nach allen Seiten umsehen und den Geist wach halten.


Euer Jean Moulin
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von Anzeige » Di 27. Apr 2010, 22:00

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Re: Ein paar Anmerkungen zur Recherche in Büchern

Beitragvon Nanny » Di 27. Apr 2010, 22:08

...und grottige Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche hat sich bis heute gehalten!
Aber diese "Erbsen" hier sind natürlich besonders schön!
ich kenne das Buch auch und hatte damals auch schon die Korrdinaten verfolgt und gestaunt!
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Re: Ein paar Anmerkungen zur Recherche in Büchern

Beitragvon Pat » Mi 28. Apr 2010, 04:38

Mon Ami Jean Moulin,

das mit den Übersetzungen war mir aus den Spätmittelalterlichen Büchern schon bekannt, auch das es wohl heute mit der Genauigkeit oder gar einer Überprüfung des Geschriebenen nicht weit her ist. Aber die Idee mit Hilfe von Googel Earth eine Reiseroute nach zu verfolgen finde ich klasse! Ich werde das mal mit David Thompsen's Buch "Im wilden Norden Amerikas 1784 - 1812" nachverfolgen. Dort wimmelt es ja auch von Koordinaten.

Danke für die Idee.

Gruß Pat
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